975 Meter hoch, fast senkrecht, purer Granit und ohne Seil bis dato nur von einem Mann bezwungen. Der El Capitan im Yosemite-Nationalpark gilt nicht nur als Feuerprobe in der Welt des Klettersports, sondern auch als Meilenstein in der Karriere von Alex Honnold. Der Freeclimber war 2017 der erste Mensch, der die Felswand in einem Durchlauf ohne Seil erklommen hat. Ein Akt des Irrsinns? eine sportliche Meisterleistung? Vielleicht sogar eine körperliche Notwendigkeit? (Bei einem Hirnscan stellten Ärzte fest, die Amygdala – jenes Zentrum des Gehirns, wo das Furchtempfinden sitzt – des Extremkletterers benötigt mehr Reize im Vergleich zu einer normal funktionierenden.) – Als Zuseher hat man 98 Minuten Zeit sich ein Bild zu machen.
Dass dieses Bild beziehungsweise diese Bilder mitunter gewaltig daherkommen ist vor allem dem erfahrenen Kamerateam rund um Jimmy Chin zu verdanken. Der Fotograf und Filmemacher, der bereits mehrere Arbeiten für National Geographic (das Unternehmen zeichnet auch für die Produktion von „Free Solo“ verantwortlich) realisiert hat, hatte gemeinsam mit seiner Frau, der Regisseurin Elizabeth Chai Vasarhelyi, nicht nur die Idee zum Film, sondern ist auch ein erfahrener Kletterer. Chin selbst ist wie die anderen Kameraleute Teams auch in der Doku zu sehen. Eine dramaturgische Entscheidung, die verdeutlichen soll, welche Faktoren es für Honnold zu beachten gilt: Menschen werden risikobereiter und überschätzen sich leicht wenn sie gefilmt werden.
Choreographie eines Aufstiegs
Hannold offensichtlich nicht. Konzentration und die Fähigkeit die Angst auszublenden gelten mit als die wichtigsten Werkzeuge eines Freeclimbers: ein falscher Schritt, ein kurzer Moment nicht aufgepasst und der Halt ist verloren.
Wie ein Choreograph plant Honnold seinen Aufstieg, jeder Schritt, jeder Handgriff, jede Bewegung, die in der jeweiligen Passage auszuführen ist, wird einstudiert. Bereits mehrere Male ist der Kletterprofi die Wand mit Seil geklettert. Nun wird er es als erster Mensch ohne versuchen. Nach 59 Minuten zieht er seine Schuhe an und geht los. Doch welch Überraschung – er bricht ab. Was folgt, sind Aufnahmen mit der Freundin. Man besichtigt ein Haus, kauft Möbel – das will niemand sehen. Die Frage drängt sich auf, was wäre es wohl für ein Film geworden, hätte er nicht noch einmal den Aufstieg gewagt. Was für ein Film, wenn es ihm nicht gelungen wäre. Gerade Bergsteigerfilme kennen viele tote Helden.
Nur weniger als ein Prozent der Profikletterer klettern ohne Seil oder „Free Solo“, wie es heißt – viele stürzen früher oder später in die Tiefe. Auch während der Dreharbeiten verstirbt ein Kletterer. Man kennt sich in der Szene, man schätzt sich. Wieder einmal führt der Verlust die Gefahr vor Augen. Auch für die Lebensgefährtin von Honnold ist es eine emotionale Situation, nicht zuletzt wenn sie an die Frau des Verunglückten denkt. „Was hat sie gedacht“, lautet nüchtern die Aussage auf den Tod des Freundes, die Honnold gegenüber seiner Freundin tätigt. Honnold ist Realist, doch er ist auch „ein Krieger, der seinen Weg geht“, wie es heißt. Nicht immer ist es leicht die Obsession für das Klettern mit dem restlichen Leben zu verbinden. Romantik in einer Beziehung entfernt die Rüstung. „Aber es fühlt sich gut an, sich perfekt zu fühlen, wenn auch nur für einen Moment“, heißt es ebenfalls. „Free Solo“ ist nicht zuletzt ein Film über das ewige Streben nach Perfektion. Honnold lebt als Star des Films und in der Kletterwelt die meiste Zeit in seinem Van – ein Mädchen mit im Van zu haben macht das Leben besser, gesteht er. Den Drang hinaus zu gehen auf die nächste Wand, den stoppt es nicht.
Free Solo. Ein Film von Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin. Mit Alex Honnold.
USA 2018. 98 Minuten.
Kinostart: 21. März 2019
© Fotos: National Geographic / Jimmy Chin
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